‘pump it up’

Kugelfische pumpen sich voll, wenn sie Stress haben. Igelfische und Kofferfische auch. Der Prachtfregattvogel hat einen leuchtend roten Kehlsack, den er wie einen Ballon mit Luft aufblasen kann, um die Weibchen zu beeindrucken, auf die er scharf ist. Frösche blasen sich auf, um lauter quaken zu können, um imposanter zu erscheinen. Einige übertreiben es dabei maßlos. Wie jener Frosch in der antiken Fabel, der einen Ochsen an Größe übertreffen wollte und sich so lange dehnte, bis er schließlich zerplatzte. Auch mancher Mensch soll schon an seiner anmaßenden Prahlerei zugrunde gegangen sein.
In der Kunst wird von jeher heftig gepumpt und um Aufmerksamkeit gebuhlt. Viele Kunstwerke werden assistiert durch die mehr oder weniger unverhohlen vorgetragene Forderung nach Beachtung: „Glaubt nur mir!“, scheint da in imaginären Lettern über ihnen zu stehen, glaubt mir, dass ich wichtig bin, bedeutsam, relevant, wegweisend, genial, schön, stimulierend, einzigartig, herausragend ... Und oft sind die Grenzen zwischen großer und größenwahnsinniger Kunst, zwischen selbstbewusstem und narzisstischem Agieren von Galeristen, Ausstellungsmachern und Künstlern nur schwer zu bestimmen. Doch manch einem Besessenen gehen im Laufe der Zeit die Superlative und schließlich die Puste aus.
Im Rheinland werden Bodybuilder noch heute Luftpumpen genannt. Auch dumme Menschen, die nur heißen Dampf produzieren, nennt man bekanntlich so.
Wolfgang Ellenrieder bläst seine Arbeiten nicht selbst auf. Er lässt das seine Sammler machen. Allen Arbeiten der neuen Werkgruppe liegt deshalb eine Luftpumpe bei. Und eine genaue Anweisung dafür, wie viel Luft jeweils vonnöten ist.
Einmal aufgeblasen, strotzen manche dieser luftigen Bildkörper vor innerer Kraft. Man kann die von innen nach außen wirkende Energie nicht nur sehen, sondern geradezu fühlen.
Der wohl berühmteste Pinienzapfen der Welt wurde aus Bronze gegossen und steht im Hof der vatikanischen Museen in Rom. Er ist vier Meter hoch und bald 2000 Jahre alt. Ein Symbol für Wohlstand, Überfluss und Fruchtbarkeit. Publius Cincius Salvius hat ihn entworfen. Wolfgang Ellenrieders Zapfen hat eine vergleichbare Größe. Nur ist er aus Kunststofffolie und Luft gemacht, also leicht, und kann seinen Standort schnell verändern. Flexibilität und Mobilität sind seine hervorstechenden Eigenschaften. Diese Art von Skulptur muss all jenen Stadtpolitikern entgegenkommen, die bisher den Schneemann für die akzeptabelste Form von Kunst im öffentlichen Raum hielten. Ein Exemplar des Zapfens steht in Wolfsburg und wird zu einem ganz und gar auf Architektur verweisenden Schmuckstück, wenn es vor der Fassade oder im Hof des prächtigen Schlosses zu sehen ist. Das im Stil der Weserrenaissance gestaltete Gebäude, das unter anderem die Städtische Galerie mit ihrer Sammlung zeitgenössischer Kunst beherbergt, umgibt ein weitläufiger Park, der zum Lustwandeln einlädt. Zwischen kunstvoll beschnittenen Bäumen und Hecken kontrastiert der glatte, graue Zapfen dann mit der Gartenkunst. Er wirkt verändert und erinnert nun vielleicht an ein überdimensionales Sexspielzeug.
Blattrosette. Rosettenfenster. Rosettennebel. Rosettensex. Aufgeblasene Rosettenkissen an der Wand über dem Sofa. Strukturiert und vom Zufall geprägt. Weich und nachgiebig. Nicht prall gefüllt, aber eben auch nicht schlaff, so möchte der Künstler die Objekte mit den blassen Blütenornamenten präsentiert wissen. Während ihre floralen Elemente einer strengen Stilisierung unterworfen wurden und eher an technische Produkte wie den Lamellenverschluss einer Kamera erinnern, strukturiert ein buntes, teilweise ineinander zerfließendes Netz dünnflüssiger Farbverläufe die Oberfläche. Es hat den Anschein, als hätten die Blütenfarben ihren angestammten Ort verlassen und sich auf Wanderschaft begeben, um sich in der Begegnung miteinander neu zu definieren.
Bla, bla, bla ... Ausdruck und Platzhalter banalen Gedankenfüllstoffs. Titel eines raumfüllenden Blasenkonglomerats aus Haupt- und Nebenformen. Im eigenen Wohnzimmer präsentiert ein beeindruckender Raum-, ein echter Gastverdränger. „Was ist denn hier los?“, hören wir den überraschten Besucher ausrufen, der sich auf einen ruhigen Abend auf dem Sofa gefreut hatte. Dieses Werk ist nicht gemütlich, es ist nicht einmal praktisch. Es ordnet sich nicht unter, sondern über. Gut, dass man da ab und an wieder die Luft ablassen kann.
Von Efeu umrankte Stadtvillen, Clematis oder Blauregen an Neubaufassaden, wilder Wein in der Lobby, geschätzt wird der grüne Wandschmuck von vielen romantisch veranlagten Zeitgenossen. Aber auch als „Architektenschmiere“ ist er beliebt, wenn es darum geht, unansehnliche Bausünden zu kaschieren: „Der Arzt kann seine Fehlgriffe verbergen, der Architekt kann seinem Bauherrn nur empfehlen, wilden Wein zu pflanzen“, soll Frank Lloyd Wright gesagt haben.
Kletterpflanzen als Kunst zur Begrünung von Museumswänden im Ausstellungsbereich gibt es noch nicht. Eine wohltuende grüne Alternative zu echtem Pflanzenbewuchs wäre vielleicht Ellenrieders Efeukissen. Es ist, wie alle Arbeiten dieser Werkgruppe, leicht zu installieren, und die Wand muss nicht erst, wie sonst üblich, auf ihre allgemeine Tragfähigkeit und Tauglichkeit für den Einsatz selbstklimmender Pflanzen untersucht werden. Auch die nur mühsam wieder zu entfernenden Spuren von Efeubewuchs stellten bei einem Szenenwechsel im Ausstellungsprogramm kein Problem dar.
Ellenrieders pneumatische Skulpturen und pneumatische Bilder nehmen ein, allein schon, weil man selbst Hand anlegen muss, um ihnen gerecht zu werden. Und manch einen von uns mögen sie sogar aus der von Gewohnheiten narkotisierten Wahrnehmung aufschrecken. Diese Kunst ist unkompliziert. Sie kommt ohne Klimakiste und Kunsttransport per Post ins Haus, um sich dort nach Belieben auszubreiten. Und, welch ein Segen, sie will gar nicht für die Ewigkeit bleiben. Ihr kommt es sehr auf den ersten Eindruck an. Ist er positiv, dann ist ihre kurzzeitige Präsenz vielleicht sogar von größter Nachhaltigkeit. Etwa wie die unvergesslichen Silver Balloons von Andy Warhol, die bis heute vor unserem inneren Auge präsent geblieben sind, obwohl ihnen schon vor langer Zeit die Luft ausgegangen ist.
Die Kunst ist historisch geworden. Auch das scheinen die aufblasbaren Werke von Wolfgang Ellenrieder zu thematisieren. Heutige Kunst wird, ob sie will oder nicht, auf etwas Vorausgegangenes anspielen. Welche Bedeutung ihr schließlich zukommt, hängt letztlich von der Art unserer Zuwendung ab. Denn alle Kunst handelt im Grunde vom Betrachter. Wir sind es, die den Werken ihre Existenz verleihen.

  • Andreas Bee in

  • AirMailArt Projekt, 2022